Feinstaub, Klimawandel, Verkehr:
Öffi-Tickets für Autos?

Richard Parncutt
2006-2014


rp

Folgende Ideen sind als Buchkapitel erschienen:

Parncutt, R. & Mühlbacher, H. (2013). Öffi-Tickets für Autos (Public transport tickets for cars). In: PEPMAC Awards '12 (PEPMAC = Post Emission Particulate Matter Abatement Competition). Wien: Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. pdf

Zusammenfassung

Viele Städte der Welt leiden unter Luftverschmutzung und Feinstaub. Der Verkehr trägt wesentlich dazu bei. Wie könnten AutofahrerInnen motiviert werden, auf Staßenbahn, Bus und Fahrrad umzusteigen?

Vorab zwei wesentliche Punkte. Erstens sind Öffis teuer. Ein klarer Finanzplan ist unentbehrlich. Zweitens bilden AutofahrerInnen eine politische Mehrheit. Sie können kaum zum Öffi-Umstieg gezwungen werden. Doch sie atmen auch und könnten mit einem Zuckerl motiviert werden. Viele verstehen und akzeptieren das umweltrechtliche "Verursacherprinzip", wonach Kosten durch den Verursacher zu zahlen sind.

Auf dieser Basis brauchen wir politisch wirksame Lösungen, sonst werden wir in zehn Jahren noch dabei sein, uns langsam zu vergiften. Wir brauchen eine kluge Gesamtlösung, die mehrere Fliegen mit einer Klappe schlägt. Mit Roadpricing kann gleichzeitig der Öffi-Ausbau finanziert und der Verkehr reguliert werden; doch niemand will eine Citymaut oder ein gelegentliches Fahrverbot.

Eine vielversprechende Idee: Um in der Stadt mit dem Auto zu fahren, braucht man ein Öffi-Ticket. Zur Auswahl stehen die üblichen Zeitkarten. Papier ist out: Öffi-Tickets sind wiederverwendbare elektronische Plastikkarten im Kreditkartenformat. Beim elektronischen Ticketkauf hat man die Möglichkeit, sein Autokennzeichen anzugeben. Das geht auch, wenn man sein Ticket im Internet kauft, z.B. mit dem Handy.
Mit dem gleichen Ticket kann man mit Bus oder Bim weiterfahren, was für alle Beteiligten – Einwohner, Pendler, Besucher  zum Öffi-Umstieg motiviert.

AutofahrerInnen mit Hauptwohnsitz in der Stadt kaufen ein Jahresticket und können somit immer mit den Öffis fahren. Von den Pendlern auf dem Land kann man ruhig den gleichen Preis verlangen, vor allem dann, wenn sie überproportional zur Feinstaubbelastung beitragen. Auswärtige Besucher - egal ob geschäftlich oder touristisch - können mit dem Handy ein Öffi-Ticket kaufen. Autofahrer ohne Handy kaufen eine Fahrkarte bei einer Maut oder Straßenbahn-Endhaltestelle. Sollte diese Idee von mehreren Städten umgesetzt werden, wäre eine Art Auto+Öffi-Ticket für ein ganzes Land möglich.

Eine automatische Kontrolle gehört dazu. Auf den Straßen stehen Geräte zur Geschwindigkeitsüberwachung. Diese wissen, welches Auto ein gültiges Öffi-Ticket besitzt und welches nicht. Wer ohne gültige Karte fährt, zahlt die gleiche Strafe, wie ein Öffi-Schwarzfahrer. 

Mit dem neuen Einkommen werden die Öffis ausgebaut. Sie werden auch für Kinder und PensionistInnen kostenlos und für andere billiger. Sowohl Feinstaub- wie auch CO2-Emissionen durch Verkehr werden erheblich reduziert (Paris-Abkommen: Sorgekind Auto).

Für einzelne Autofahrer handelt es sich nicht um viel Geld. Die zusätzlichen jährlichen Kosten sind mit einer alltäglichen Autoreparatur oder einer einzigen Geschwindigkeitsüberschreitung vergleichbar. Auch vergleichbar ist der Unterschied zwischen billigen und teuren Spritpreisen. Wer sich nicht ca. €300 im Jahr für bessere Luft und weniger Stau leisten kann, kann sich auch kein Auto leisten und freut sich stattdessen über die besseren Öffis. 

Radfahrer, Fußgänger und verbleibende Autofahrer freuen sich über den Verkehrsrückgang, denn das Problem Stau wird auch damit gelöst.

Wirtschaftliche Rahmenbedingungen

Technische Lösungen zum Freistaubausstoß sind willkommen und nötig. Noch besser sind nachhaltige Konzepte, die gleichzeitig auch Stau und CO2 reduzieren. Mobilität ist wichtig: Wir müssen schnell in der Stadt herumfahren können. Aber auch die Zukunft unserer Kinder und Enkel darf nicht vergessen werden. Wir müssen früher oder später unseren Beitrag zur Klimawandel drastisch reduzieren. Aus der Klimawissenschaft geht hervor, dass radikale Änderung eher früher als später nötig sind.

In diesem Beitrag schlage ich eine zweistufige Lösung zum Verkehrsproblem in modernen Städten vor. Im ersten Schritt würden AlleinfahrerInnen in der Stadt eine gültige Öffi-Fahrkarte dabei haben müssen. Das dahinterstehende Prinzip: Wer in erster Linie zur Luftverschmutzung beiträgt, wird auch in erster Linie zur Kasse gebeten. Mit dieser neuen Finanzquelle könnte das öffentliche Verkehrsnetz ausgebaut werden, was viele zum Umsteigen motivieren und den zweiten Schritt unseres Vorschlages ermöglichen würde: ein kostenlose öffentliches Verkehrssystem, das aus verschiedenen Quellen finanziert wird, darunter Vermögenssteuern.

Die Idee, den öffentlichen Verkehr billiger und gleichzeitig den privaten Verkehr teurer zu machen, klingt nach Sozialismus. Sie könnte aber auch als marktwirtschaftliches Experiment betrachtet werden. Wir schätzen den privaten Verkehr, weil wir (i) (fast) jederzeit allein und ohne Vorplanung fahren können, (ii) nicht zusammen mit fremden Menschen fahren müssen und (iii) bei Regen weniger nass und im Winter weniger kalt werden. Dafür nehmen wir im Kauf, dass wir im Stau sitzen oder keinen Parkplatz finden. Wie viel ist uns dieses Privileg wert? In den letzten Jahren ist der Benzinpreis massiv gestiegen, was aber kaum jemand zum Umsteigen auf Öffis bewegt hat. Der eigentliche Marktwert des privaten Verkehrs muss also noch höher sein, als der aktuelle Preis. Wir werden nur auf Öffis umsteigen, wenn (i) die Kosten des privaten Verkehrs den eigentlichen Marktwert angleichen und (ii) die Öffis überall schnell, bequem, verlässlich und billig sind. Beide Bedingungen müssen gleichzeitig erfüllt werden.

Freilich gilt diese Argumentation in erster Linie für den Mittelstand. Reiche werden vermutlich immer mit dem Auto fahren, egal wie viel es kostet. Ärmere werden früher auf Öffis umsteigen, wenn der Preis des privaten Verkehrs noch höher wird.

Öffi-Tickets für Autos

Das Prinzip ist so einfach, dass eine Erklärung kaum nötig ist. Wer allein in der Stadt Auto fährt, muss eine gültige Öffi-Karte dabei haben. Warum nur AlleinfahrerInnen? Erstens ist der ökologische Fußabdruck erheblich größer für AlleinfahrerInnen. Zweitens braucht man für die Kontrolle ein einfaches Kriterium.

Wie würden AutofahrerInnen auf diese neue Situation reagieren? Wer allein fahren will, hat zwei Möglichkeiten: entweder eine Öffi-Karte zu kaufen oder eine andere Person mitzunehmen. Somit würden auch Fahrtgemeinschaften gefördert werden. Für die meisten Leute wäre es am einfachsten, eine Öffi-Jahreskarte zu kaufen. Die Anzahl der verkauften Jahreskarten wäre dann viel höher und Jahreskarten könnten viel billiger sein – vielleicht 150 Euro. Auch eine Art Kombivignette wäre möglich. Für ca. 300 Euro im Jahr könnte man auf der Autobahn und (allein) in der Stadt fahren. Es gäbe einen Abschnitt zum Abtrennen als Fahrkarte für den öffentlichen Verkehr. Für BesitzerInnen der Kombivinette wären die Öffis praktisch kostenlos.

Zu erwarten ist eine positive Spirale - eine klassische „win-win situation“. AutofahrerInnen würden die Öffis häufiger benutzen, weil (i) sie den Fahrpreis schon bezahlt haben (sie brauchen nur einzusteigen) und (ii) die Öffis aufgrund des Einkommensschubs immer besser werden (mehr Verbindungen, kürzere Wartezeiten). Fahren mehr Menschen mit den Öffis, steigt auch der politische Druck, das System zu verbessern. Und so weiter. Sogar das Radfahren würde attraktiver werden, wenn wenige Autos auf der Straße fahren würden.

Ist das unfair?

Alleinerzieherinnen, die das Glück haben, ein Auto zu besitzen, brauchen es täglich, um hin und her zwischen Schule, Kindergarten, Arbeitsstelle und Supermarkt zu fahren. Sie sind zum Teil wird mit den Kindern unterwegs sein, zum Teil allein. Nach dem dargestellten Plan müssten sie immer ein Öffi-Ticket dabei haben, wenn sie allein im Auto unterwegs sind. Wäre das fair?

Die beste und fairste Lösung wäre, besser und billigere Öffis zur Verfügung zu stellen, dazu siehe unten. So könnte man realistisch ohne Auto Kinder erziehen.

Eine andere Möglichkeit wäre, bei AlleinerzieherInnen eine Ausnahme zu machen. Sie müssten ausnahmsweise kein Öffi-Ticket dabei haben. Auch Menschen mit Behinderung wären ausgenommen. Das könnte funktionieren, wenn es völlig klar wäre, wer ausgenommen wird. Der Antragsvorgang müsste möglichst einfach sein und wenig Verwaltungsaufwand brauchen. Eine weitere Möglichkeit wäre, allen AlleinerzieherInnen und Menschen mit Behinderung einen Betrag zu überweisen, der einer Jahreskarte entspricht. Sie könnten dann frei über das Geld verfügen.

Kostenlose Öffis?

Öffi-Karten für Autos wäre ein wichtiger erster Schritt. Ein möglicher zweiter Schritt wäre kostenlose Öffis für alle. Das klingt utopisch, wenn man ein solches System noch nicht erlebt hat. Aber viele Argumente sprechen für eine solche Lösung. In vielen kleineren Städten der Welt sind Gratis-Öffis schon Realität (siehe Wikipedia „Free Public Transport“) und die Liste wird immer länger. Tallinn hat Gratis-Öffis bei einer Bevölkerung von 420 000! 

Nach dem „Benutzer-zahlt-Prinzip“ sollen die AutofahrerInnen die Öffis mitfinanzieren, weil sie von der Staureduktion durch die Öffis profitieren. Das gleiche gilt für Fußgänger- und RadfahrerInnen, die von der sauberen Luft profitieren. Wer nachweislich nicht atmet, muss nicht zahlen. Aber ernsthaft: Nach dem „Verschmutzer-zahlt-Prinzip“ sollen diejenigen, die die Luft verschmutzen, für Luftbereinigungsmaßnahmen zur Kasse gebeten werden. Dieses Prinzip wird inzwischen von der EU gefördert. Ein kostenloses (d.h. allein durch Steuereinnahmen finanziertes) öffentliches Verkehrssystem kann als logische Folge dieses Prinzips angesehen werden.

Ein gängiges Argument gegen Gratis-Öffis ist Folgendes: Im Allgemeinen werden Menschen eher zum Umsteigen motiviert, wenn die Netzwerk- und Fahrplandichte verbessert wird, als wenn der Fahrkartenpreis reduziert wird. Aber man könnte auch beide Ziele gleichzeitig erreichen. Finanzierte man die Öffis zu 100% durch Steuern, würden fast alle BürgerInnen davon profitieren. Die Öffis würden schneller, weil Bus- und StraßenbahnfahrerInnen nicht auch Fahrkarten verkaufen müssten. Wenn mehr Menschen mit den Öffis fahren würden, gäbe es weniger Privatverkehr und Stau – auch Autofahren ginge schneller. Das heißt: bessere Mobilität für alle. Die Luft wäre sauberer und unser Beitrag zum Klimawandel wäre weniger, was mehr Nachhaltigkeit und Lebensqualität (lokal und global) bedeuten würde.

Ein allmählicher Übergang zu einem kostenlosen öffentlichen Verkehrssystem wäre sinnvoll. Der erste Schritt ist schon getan: An manchen Tagen im Jahr sind in vielen Städten die Öffis schon kostenlos. In einem zweiten Schritt könnte man alle Öffis für alle Kinder und SeniorInnen kostenlos machen. Derzeit sind Fahrkarten für Kinder und SeniorInnen zwar billiger, aber das System ist kompliziert, was allen Beteiligten Zeit und Mühe kostet - auch der Verwaltung der Öffis.

Der öffentliche Verkehr gehört zu den grundlegenden Dienstleistungen einer Stadt. Man zahlt nicht, um auf dem Gehsteig zu gehen, obwohl es auch teuer ist, ein Gehsteig zu bauen. Gleiches gilt für die Autos auf der Straße und für die SpaziergängerInnen im Stadtpark. Warum soll man unbedingt dafür zahlen, um mit dem Bus oder mit der Straßenbahn zu fahren?

Finanzplan

Der öffentliche Verkehr dient den Interessen aller BürgerInnen, sogar der AutofahrerInnen: Je mehr Menschen die Öffis benutzen, je weniger Autos fahren auf der Straße. Ein kostenloses öffentliches Verkehrsnetz würde mehr TouristInnen an die Städte ziehen; gewinnen würden auch die Restaurants, Hotels, Shopping, was wiederum die Steuereinnahmen erhöhen würd

Es folgt daraus, dass die Gesamtkosten des öffentlichen Verkehrs von allen getragen werden sollen, egal ob sie mit den Öffis fahren oder nicht. Verteilte man die Gesamtkosten des öffentlichen Verkehrs einer typischen Stadt auf alle SteuerzahlerInnen, würde jede Person im Durchschnitt nur 1 bis 2 Euro pro Tag zahlen. Das ist viel billiger als Autofahren.

Die Kosten eines kostenlosen öffentlichen Verkehrssystems könnten aus unterschiedlichen Quellen gedeckt werden. Es gibt drei große Kategorien: Reichensteuer (Vermögenssteuer, Erbsteuer, Transaktionssteuer, Ökosteuer vor allem für große Firmen), Kosten für AutofahrerInnen (Straßensteuer, Benzinsteuer, Parkgebühren), und Sparen.

Reichensteuer: In den letzten Jahrzehnten ist die Kluft zwischen Reich und Arm erheblich größer geworden. Das kann als Problem betrachtet werden – aber auch als Chance, neue Projekte aus neuen Reichensteuern zu finanzieren. Privates Geld ist in Überfluss vorhanden, wenn die Politik den Mut hat, im allgemeinen Interesse zu agieren. Zahlten alle Millionäre eine Vermögenssteuer von 1% pro Jahr, könnten mehrere neue Projekte finanziert werden, darunter Gratis-Öffis in und um die Hauptstadt. Eine solche Vermögenssteuer existiert schon in Frankreich, Island, Indien, Lichtenstein, Niederlande, Norwegen und der Schweiz.In einer globalisierten Welt muss das Steuersystem global betrachtet werden ( mehr). Das Problem der Kapitalflucht kann nur auf globaler Ebene endgültig gelöst werden. Die Steueroasen der Welt gehören dringend trockengelegt. Globale Abkommen zur Vermögenssteuer (wie auch zu Transaktionssteuern und Klimasteuern) sind dringend nötig. Sie sind auch durchaus möglich im Rahmen von existierenden Stukturen (UN, IMF, Weltbank, G20), wenn der politische Wille vorhanden ist. Aufgrund der zunehmend undemokratischen Machtverhältnisse ist es leider nicht einfach, Vermögenssteuer einzuführen. Erstaunlich ist nur, die Anzahl der ganz normalen Menschen, die aus willkürlichen pseudo-wirtschaftlichen Gründen Vermögenssteuern ablehnen. Sie schießen sich selbst (sowie die ganze Gesellschaft) in das Knie.

Kosten für AutofahrerInnen: Die sind sofern gerechtfertigt, als Straßenbau teuer ist, stark befahrene Straßen die Lebensqualität in Städten beeinträchtigen, Luftverschutzung medizinische Kosten erzeugt und zum Klimawandel beiträgt (was unzählige Millionen Menschenleben in der Zukunft kosten könnte, mehr). Darüber hinaus dienen Öffis den Interessen der AutofahrerInnen, indem sie Stau verhindern.

Sparen: Durch ein kostenloses öffentliches Verkehrsnetz könnte man in mehreren Bereichen Geld sparen:

Schlussbemerkungen

Wer mit dem öffentlichen Verkehr oder mit dem Fahrrad fährt oder zu Fuß geht, trägt direkt zur Lebensqualität der Stadt bei. Wie wäre die Luftqualität in den feinstaubgefährdeten Städten, wenn diese Menschen sich nicht so verhalten würden oder wenn der öffentliche Verkehr weniger gut wäre? Diesen Menschen sowie der engagierten Leitung Öffis ist zu danken, dass wir überhaupt noch atmen können.

Autofahren in der Stadt ist ein Privileg für Behinderte, Kranke und Menschen mit vielen Kindern oder großem und schwerem Gepäck. Alle anderen können mit dem Fahrrad oder den Öffis fahren oder zu Fuß gehen. Wer unnötig Auto fährt, ist aus dieser Sicht faul und rücksichtslos. Sie oder er macht andere und sich selbst krank und trägt persönlich dafür die Verantwortung. Sie oder er agiert oft nicht einmal im eigenen Interesse.

Wir brauchen einen Umweltknigge: eine Erziehung zum globalen Verantwortungsbewusstsein und Rücksicht. Im Übrigen ging es Knigge in seinem Buch "Über den Umgang mit Menschen" (1788) nicht in erster Linie um Umgangsformen, sondern vielmehr um Demokratie und Menschenrechte. Alle haben ein Recht auf frische Luft; folglich sind alle auch verpflichtet, die Luft nicht unnötig zu verunreinigen und alle sollen finanziell zur Erhaltung der Luftqualität beitragen.


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