Die österreichische Steuerreform 2015: Ein Karrusell des Leugnens?
Richard Parncutt

19 March 2014
Richard Parrncutt ICMPC 2012

Folgender Leserbrief erschien nicht in "Der Standard".
 
Betrifft:
Genug gejammert von András Szigetvari. Der Standard, 17.3.2015
Klima und Umwelt: Diese Reform steuert nicht von Franz Maier. Der Standard, 16.3.2015

Nachdem der Staub sich gesetzt hat, darf man Bilanz ziehen. Die Steuerreform brachte zahlreiche Fortschritte, doch in manchen Fragen verhält sich Österreich weiterhin wie ein „gallisches Dorf“: die allerwichtigsten globalen Themen werden geleugnet, als würde die Außenwelt nicht existieren.

Geleugnet wird nicht nur, dass das Klima sich ändert und Gegenmaßnahmen dringend finanziert werden müssen, sondern auch, dass Österreich in der Finanzierung der Entwicklungszusammenarbeit (EZA) europäisches Schlusslicht ist. Wenn Österreich und (mit wenigen Ausnahmen) andere reiche Länder in den letzten zwei Jahrzehnten ihr Versprechen gehalten hätten, 0,7% des Bruttoinlandproduktes (statt bei uns derzeit: 0,28%) für EZA auszugeben, wären die meisten UN-Millenniums-Entwicklungsziele schon erreicht, was jedes Jahr Millionen von Menschenleben gerettet hätte.

Wir bedauern gerne die Tragödien der Vergangenheit gegen die wir nichts mehr tun können, doch wir verschweigen dabei die heutige anhaltende globale Todesrate in Verbindung mit Hunger, vermeidbaren und heilbaren Krankheiten. Wir dementieren sogar, dass wir in diesem Bereich wirksamer agieren könnten. Wir verschleiern, dass der Fortschritt in der EZA trotz aller Probleme in erster Linie von der Finanzierung abhängt.

Geleugnet wird auch, dass der Klimawandel in kommenden Jahrzehnten weltweit wahrscheinlich weitere Hunderte Millionen von Menschenleben fordern wird, indem er die Fortschritte der EZA rückgängig macht. Zu den zu erwartenden Ursachen gehören häufigere Stürme und Hitzewellen, Waldsterben und Wüstenausbreitung, Trinkwasserknappheit und Überflutungen, Biodiversitätsreduktion und Ozeanversauerung, Massenmigrationen und Ressourcenkriege.

Geleugnet wird weiterhin, dass der Klimawandel langfristig viel mehr kosten wird, wenn man vorerst nichts tut (das österreichische Projekt COIN: Cost of Inaction). Auch geleugnet wird, dass die Kluft zwischen Arm und Reich (GINI-Koeffizient) aufgrund der Globalisierung langsam und nachhaltig größer wird, was wiederum bedeutet, dass neue Vermögens-, Erbschafts- und Transaktionssteuern nötig sind, welche auch signifikante Einnahmen einbringen würden. Wir reden nicht gern darüber, dass solche neuen Steuern ständig durch reiche Lobbys im Hintergrund verhindert werden, was als existenzielle Gefahr für die Demokratie betrachtet werden kann.

Über alles steht ein überspannendes Thema, dass noch hartnäckiger vermieden wird: Nach dem zweiten Weltkrieg haben alle gemeinsam „Nie wieder!“ geschrien. Nie wieder sollen Menschenrechte derart missachtet werden! Wer heute Menschenrechte ernst nimmt, erkennt ihre steuertechnischen Implikationen. Die Steuerreform bat die Möglichkeit, nicht mehr auf dem Rücken der Ärmsten der Welt zu leben und nicht mehr die Zukunft unserer Kinder langsam zu zerstören. Hoffentlich werden wir nächstes Mal die Gelegenheit ergreifen.



Folgender Leserbrief erschien am ca. 9.10.2014 in der Kleinen Zeitung

Betrifft: "In 648 Tagen um die Welt" (7.9.)

Gernot Schlegel hat Recht: "Verglichen mit anderen Ländern leben wir in Österreich im Luxus. Ich finde es schlimm, dass wir oft vergessen, wie gut es uns eigentlich geht." Dieses Problem ist lösbar: mit einer global harmonisierten Vermögenssteuer könnte das Budget für Entwicklungszusammenarbeit (EZA) in reichen Ländern endlich auf 0,7% BIP erhoben werden. Auch neue Transaktions- und Umweltsteuern sind möglich. Vor ein paar Tagen hat Wolfgang Schüssel in dieser Zeitung mit irreführenden Statistiken und naiven neoliberalen Argumenten gegen die Einführung einer Vermögenssteuer in Österreich plädiert. Solche Denkweisen führen dazu, dass unser EZA-Budget gekürzt wird und wichtige Entwicklungsprojekte nicht finanziert werden. Somit verursachen wir mit unserem global erwirtschafteten Wohlstand und unserem Geiz indirekt ein unvorstellbares Leiden: Jedes Jahr sterben ca. zehn Millionen Menschen in Verbindung mit Armut (Hunger und vermeidbare bzw. heilbare Krankheiten) in Entwicklungsländern - ein Problem, das durch effektive EZA langsam gelöst werden könnte. Sehr geehrter Herr Dr. Schüssel! Es geht nicht um "Neid", es geht um Menschlichkeit, Gerechtigkeit und die Umsetzung universeller (auch christlicher) moralischer Werte.



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