Nachdem der Staub sich gesetzt hat, darf man Bilanz ziehen. Die
Steuerreform brachte zahlreiche Fortschritte, doch in manchen Fragen
verhält sich Österreich weiterhin wie ein
„gallisches
Dorf“: die allerwichtigsten globalen Themen werden geleugnet,
als
würde die Außenwelt nicht existieren.
Geleugnet wird nicht nur, dass das Klima sich ändert und
Gegenmaßnahmen dringend finanziert werden müssen,
sondern
auch, dass Österreich in der Finanzierung der
Entwicklungszusammenarbeit (EZA) europäisches Schlusslicht
ist.
Wenn Österreich und (mit wenigen Ausnahmen) andere reiche
Länder in den letzten zwei Jahrzehnten ihr Versprechen
gehalten
hätten, 0,7% des Bruttoinlandproduktes (statt bei uns derzeit:
0,28%) für EZA auszugeben, wären die meisten
UN-Millenniums-Entwicklungsziele schon erreicht, was jedes Jahr
Millionen von Menschenleben gerettet hätte.
Wir bedauern gerne die Tragödien der Vergangenheit gegen die
wir
nichts mehr tun können, doch wir verschweigen dabei die
heutige
anhaltende globale Todesrate in Verbindung mit Hunger, vermeidbaren und
heilbaren Krankheiten. Wir dementieren sogar, dass wir in diesem
Bereich wirksamer agieren könnten. Wir verschleiern, dass der
Fortschritt in der EZA trotz aller Probleme in erster Linie von der
Finanzierung abhängt.
Geleugnet wird auch, dass der Klimawandel in kommenden Jahrzehnten
weltweit wahrscheinlich weitere Hunderte Millionen von Menschenleben
fordern wird, indem er die Fortschritte der EZA
rückgängig
macht. Zu den zu erwartenden Ursachen gehören
häufigere
Stürme und Hitzewellen, Waldsterben und
Wüstenausbreitung,
Trinkwasserknappheit und Überflutungen,
Biodiversitätsreduktion und Ozeanversauerung,
Massenmigrationen
und Ressourcenkriege.
Geleugnet wird weiterhin, dass der Klimawandel langfristig viel mehr
kosten wird, wenn man vorerst nichts tut (das österreichische
Projekt COIN: Cost of
Inaction). Auch geleugnet wird, dass die Kluft
zwischen Arm und Reich (GINI-Koeffizient) aufgrund der Globalisierung
langsam und nachhaltig größer wird, was wiederum
bedeutet,
dass neue Vermögens-, Erbschafts- und Transaktionssteuern
nötig sind, welche auch signifikante Einnahmen einbringen
würden. Wir reden nicht gern darüber, dass solche
neuen
Steuern ständig durch reiche Lobbys im Hintergrund verhindert
werden, was als existenzielle Gefahr für die Demokratie
betrachtet
werden kann.
Über alles steht ein überspannendes Thema, dass noch
hartnäckiger vermieden wird: Nach dem zweiten Weltkrieg haben
alle
gemeinsam „Nie wieder!“ geschrien. Nie wieder
sollen
Menschenrechte derart missachtet werden! Wer heute Menschenrechte ernst
nimmt, erkennt ihre steuertechnischen Implikationen. Die Steuerreform
bat die Möglichkeit, nicht mehr auf dem Rücken der
Ärmsten der Welt zu leben und nicht mehr die Zukunft unserer
Kinder langsam zu zerstören. Hoffentlich werden wir
nächstes
Mal die Gelegenheit ergreifen.
Folgender
Leserbrief erschien am ca. 9.10.2014 in der Kleinen Zeitung
Betrifft: "In 648 Tagen um die Welt" (7.9.)
Gernot Schlegel hat Recht: "Verglichen mit anderen Ländern
leben
wir in Österreich im Luxus. Ich finde es schlimm, dass wir oft
vergessen, wie gut es uns eigentlich geht." Dieses Problem ist
lösbar: mit einer global harmonisierten
Vermögenssteuer
könnte das Budget für Entwicklungszusammenarbeit
(EZA) in
reichen Ländern endlich auf 0,7% BIP erhoben werden. Auch neue
Transaktions- und Umweltsteuern sind möglich. Vor ein paar
Tagen
hat Wolfgang Schüssel in dieser Zeitung mit
irreführenden
Statistiken und naiven neoliberalen Argumenten gegen die
Einführung einer Vermögenssteuer in
Österreich
plädiert. Solche Denkweisen führen dazu, dass unser
EZA-Budget gekürzt wird und wichtige Entwicklungsprojekte
nicht
finanziert werden. Somit verursachen wir mit unserem global
erwirtschafteten Wohlstand und unserem Geiz indirekt ein
unvorstellbares Leiden: Jedes Jahr sterben ca. zehn Millionen Menschen
in Verbindung mit Armut (Hunger und vermeidbare bzw. heilbare
Krankheiten) in Entwicklungsländern - ein Problem, das durch
effektive EZA langsam gelöst werden könnte. Sehr
geehrter
Herr Dr. Schüssel! Es geht nicht um "Neid", es geht um
Menschlichkeit, Gerechtigkeit und die Umsetzung universeller (auch
christlicher) moralischer Werte.
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